Podiumsgespräch des Hospiz- und Palliativnetzwerks München im Rahmen der Projektwoche „Zwischenraum Sterben“

Leben gestalten bis zuletzt.

Warum Vernetzung in der Hospizarbeit und Palliativversorgung wichtig ist.

Im Podiumsgespräch des Hospiz- und Palliativnetzwerks München anlässlich der Projektwoche Zwischenraum Sterben entstand ein spannender Austausch unter Expert*innen zur Bedeutung des vernetzten Arbeitens in der Begleitung und Versorgung von sterbenden Menschen


Moderiert von Hermann Reigber, Leiter der Christophorus Akademie München
und Heike Beck, stellvertretender Geschäftsführerin Hospizdienst DaSein.

Heike Beck, stellvertretender Geschäftsführerin Hospizdienst DaSein
Heike Beck, stellvertretender Geschäftsführerin Hospizdienst DaSein
Hermann Reigber, Leiter der Christophorus Akademie München
Hermann Reigber, Leiter der Christophorus Akademie München

Prof. Dr. Monika Führer, Kinderpalliativzentrum, LMU München
Prof. Dr. Monika Führer, Kinderpalliativzentrum, LMU München

„Palliativ?“ – Da ist noch viel Leben

„Palliativ“ steht über unserer Arbeit, und viele verbinden es damit, dass es „jetzt ans Sterben geht“. Natürlich haben wir mit schwerkranken Menschen zu tun, mit Kindern, die nicht alt werden. Aber unsere Richtschnur ist die Lebensqualität, nicht die Heilung, nicht die Zahl der Tage. Da ist noch viel – vielleicht zeitlich begrenztes – Leben. Der Begriff palliativ besagt, offen damit umzugehen, dass das Leben begrenzt sein wird, aber dass es in der Hospiz- und Palliativversorgung noch um ganz viel Leben geht.


Wir knüpfen Netze und arbeiten vertrauensvoll zusammen

In der Palliativversorgung/-medizin muss man sich vernetzen, damit Menschen nicht abstürzen. Für Betroffene ist es wichtig, sich in einer lebensbegrenzenden Situation in dem Wissen zu bewegen, dass die verschiedenen Akteure in ihrer Stadt  vertrauensvoll und professionell zusammenarbeiten. Unser Auftrag ist es, Schwerkranken zu helfen ohne Konkurrenzdenken.

Prof. Dr. Marcus Schlemmer, Barmherzige Brüder München, Klinik für Palliativmedizin

Dorothea Bergmann, HiA, Diakonie München und Obb
Dorothea Bergmann, HiA, Diakonie München und Obb

Palliative Haltung – Linderung und Lebensqualität bis zuletzt

Pallium heißt Mantel, umhüllt / umsorgt sein – ein schönes Bild! In der Versorgung von Menschen am Lebensende geht es darum, Bedürfnisse zu erkennen, Sicherheit zu schaffen und durch Linderung von Leid mehr Lebensqualität zu ermöglichen. Diese palliative Haltung, finde ich, können wir alle gut gebrauchen, eigentlich sollten wir sie aufs gesamte Leben anwenden.


Vernetzung ermöglicht gezieltere Betreuung

Der Wunsch, zuhause zu sterben, steht bei den meisten Menschen im Vordergrund. Durch das Ineinandergreifen von ambulanten Angeboten ist es sehr gut möglich, die letzte Lebenszeit in der vertrauten häuslichen Umgebung zu verbringen. Doch auch die Vernetzung mit den stationären Einrichtungen – Palliativstationen und Hospizen – ist wichtig. Nicht jeder kann und will zuhause sterben. Im Münchner Hospiz- und Palliativnetzwerk arbeiten wir zusammen, um Abläufe in der Betreuung im Sinne der Betroffenen gezielt zu verbessern.

 Gregor Sattelberger, CHV e.V.
Gregor Sattelberger, CHV e.V.

 Gregor Sattelberger, CHV e.V.
Gregor Sattelberger, CHV e.V.

Struktur und Halt am Lebensende

Viele Patient*innen und Angehörige sind von der  Krankheitssituation überfordert und haben nicht die Kraft sich in den unübersichtlichen Versorgungsangeboten zurecht zu finden. Oft höre ich von Betroffenen: „ich werde immer weitergeschickt. Und dann bekomme ich unter Umständen unterschiedliche Auskünfte!“ Betroffene wünschen sich Fachkräfte, die sie verlässlich begleiten vom Erstkontakt an. Dabei ist auch das Zusammenspiel von Familie, Freund*innen, Ehrenamt, und professionellen Diensten wichtig. Das ist unser Auftrag in der Palliativversorgung. Ich bin dankbar in so einem Bereich arbeiten zu können.


Leben und Sterben im Pflegeheim

Für viele Menschen ist das Pflegeheim zum Zuhause geworden. Dort sollen sie gut versorgt leben und schließlich auch sterben können. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aus der Hospiz- und Palliativversorgung so wichtig für uns. Z.B. mit der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, die bei belastenden Symptomen von unseren Bewohnerinnen und Bewohnern in die Einrichtungen kommen. Oder mit dem Palliativ-Geriatrischen Dienst, der uns berät, wenn bei Hochbetagten das „normale Sterben“ stattfindet, sie also langsam aufhören, zu essen und zu trinken.

 Dorothea Bergmann, HiA, Diakonie München und Obb
Dorothea Bergmann, HiA, Diakonie München und Obb

Prof. Dr. Monika Führer, Kinderpalliativzentrum, LMU München
Prof. Dr. Monika Führer, Kinderpalliativzentrum, LMU München

Wir brauchen ein Netzwerk, um für jedes schwerkranke Kind ein neues Netz knüpfen zu können

Der richtige Ort ist der, wo ich mich sicher fühle, wo ich sein möchte, wenn es ans Sterben geht. Und in der Palliativversorgung von Kindern ist es ganz wichtig, dass Kinder überwiegend zuhause sein können. Für jedes schwerkranke Kind knüpfen wir ein neues Netz. Wir möchten Familien ihren größten Wunsch erfüllen, nämlich nach Hause zu gehen und dort die Verantwortung und die Last der Betreuung nicht alleine zu tragen. Ganz wichtige Partner sind dabei die Kinderärzte. Und als Sicherheit in Krisen gibt es für betroffene Familien die Anlaufmöglichkeit der spezialisierten Kinderpalliativstation.

Es ist wichtig, auch für unser Palliativteam, dass man nicht alles allein stemmen muss. Es ist immer eine Versorgung mit Partnern, das sind die Kinderkliniken, die Kinderhospizdienste sowie die Kinderkrankenpflegedienste und natürlich die niedergelassenen Kinderärzte.


Die Versorgung von Patient*innen und Angehörigen erfolgt multiprofessionell

Palliativstationen, stationäre Hospize und ambulante Einrichtungen im Netzwerk arbeiten multiprofessionell, d.h. wir bieten unseren Patientinnen und Patienten ein buntes Angebot an Professionellen: Pflegefachkräfte, Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen, Therapeut*innen, Seelsorgende, Psycholog*innen, Apotheker*innen sowie Trauerbegleiter*innen. Ergänzend dazu qualifizierte ehrenamtliche Hospizbegleiter*innen, die Zeit und Zuwendung spenden. Und auch die stationäre Versorgung schwerkranker Patienten hat übrigens sehr viel zu tun mit der Betreuung von Angehörigen.

Prof. Dr. Marcus Schlemmer, Barmherzige Brüder München, Klinik für Palliativmedizin
Prof. Dr. Marcus Schlemmer, Barmherzige Brüder München, Klinik für Palliativmedizin

Prof. Dr. Monika Führer, Kinderpalliativzentrum, LMU München
Prof. Dr. Monika Führer, Kinderpalliativzentrum, LMU München

Zum tragenden Netz gehört auch das versorgende Umfeld

Und dann gilt der Blick dem versorgenden Umfeld: was braucht der kranke, sterbende Mensch und was können Freunde, Familie, die Angehörigen tatsächlich leisten. Und wo kommen sie an ihre Grenzen. Die Hospizarbeit zeichnet sich dadurch aus, zu stärken, zu stützen und zu befähigen, oder darin Pausen zu ermöglichen, durch Ehrenamtliche. Und um das System zu unterstützen, dass um die Betroffenen herum ist, also auch die weitere Umgebung. Und die Gesellschaft dazu aufzufordern, ihre Scheu zu verlieren und miteinander darüber zu sprechen, was gebraucht wird.

Das ist eine Aufgabe, die alle angeht.


Die Zitate stammen aus der Podiumsdiskussion zur Situation und den Herausforderungen der Hospiz- und Palliativversorgung in München im Rahmen der Projektwoche „Zwischenraum Sterben“ (Oktober 2022). Alle Podiumsteilnehmer*innen sind mit ihrer Organisation oder Einrichtung Mitglied im Hospiz- und Palliativnetzwerk München.